DGUV 

PSA - Mobil

DGUV Info 212-823

Gehörschutz

11 Ausgewählte Krankheitsbilder

11.1 Erkrankungen des äußeren Ohres

Am äußeren Ohr können Irritationsdermatosen oder Hautläsionen als Eintrittspforte mit nachfolgender bakterieller oder mykotischer Superinfektion zu einer klinischen Befundkonstellation führen, die eine weitere Verwendung von Gehörschützern vorübergehend unmöglich macht (siehe auch Kapitel 6). Eine grundsätzliche Arbeitsunfähigkeit besteht in der Regel nicht, jedoch ist die Tätigkeit unter Lärmexposition bis zum Abklingen zeitweise auszusetzen. Die gleiche Einschränkung gilt bei vorbestehenden Hauterkrankungen wie z. B. Akne, Psoriasis oder verschiedensten Formen von Ekzemen.

Eine Otitis externa diffusa ist typischerweise durch eine entzündliche, dolente Schwellung der Gehörgangshaut mit ggf. Sekretion von putridem Detritus gekennzeichnet, die zu charakteristischer Otalgie (Ohrmuschelzug− oder Tragusdruckschmerz) und Hörminderung infolge der Gehörgangsverengung bzw.−okklusion führen kann. Häufigste Erreger sind Pseudomonas aeroginosa, Staphylokokken und Proteus mirabilis. Nur in ca. 3 % sind Pilzbesiedlungen (Aspergillus, Mucor) die Ursache einer „Gehörgangsmykose”.

Unter einer Otitis externa circumscripta versteht man eine lokale Haarfollikelinfektion im Gehörgang, die durch Staphylokokken verursacht wird.

Als Erysipel bezeichnet man eine Infektion des kutanen Lymphgefäßsystemes durch ß−hämolysierende Streptokokken (Gruppe A), deren Eintrittspforte meist kleine, „unscheinbare” Hautläsionen sind. Klinisch imponiert eine scharf begrenzte Rötung und diffuse Schwellung der Haut der gesamten Ohrmuschel und angrenzender Areale.

Differentialdiagnostisch abgrenzbar besteht im Gegensatz dazu bei einer Perichondritis eine diffuse Schwellung und umschriebene Rötung der Haut über dem Knorpelareal unter Aussparung des Lobulus und angrenzender Haut. Die Besiedlung des Perichondriums erfolgt meist durch Pseudomonaden (90 %) im Rahmen von Verletzun gen des Knorpelgerüstes (Einrisse, Quetschungen, OP, Piercing).

Als einen Zoster oticus bezeichnet man eine nach stattgehabter Windpockeninfektion reaktivierte Virusinfektion mit Varicella zoster. Nach Befall der Nervenganglien erfolgt eine kutane Ausbreitung im zugehörigen Dermatom mit sichtbaren, schmerzhaften Bläschen und Krusten. Begleitende Affektionen des N. facialis oder N. vestibulocochlearis mit resultierender Parese, Hörminderung, Tinnitus oder Schwindel sind möglich.

11.2 Mittelohrentzündungen

Grundsätzlich ist zwischen akuter und chronischer Mittelohrentzündung (MOE) zu unterscheiden.

Akute Mittelohrentzündungen sind durch heftige Otalgie, ggf. Otorrhoe und Schallleitungsschwerhörigkeit bei erheblicher Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes geprägt. Otoskopisch zeigen sich typische Tommelfellveränderungen wie Rötung, Vorwölbung, verstärkte Gefäßinjektion und ggf. eine Perforation mit pulsierender Sekretion.

In den meisten Fällen besteht temporäre Arbeitsunfähigkeit. Bis zum vollständigen Abklingen der Symptomatik ist auf das Tragen von Gehörschützern zu verzichten und der Aufenthalt in Lärmbereichen nicht möglich.

Chronische Mittelohrentzündungen treten als sogenannte „chronische Schleimhaut− und Knocheneiterung” auf. Infolge der nur geringen Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes besteht zunächst meist keine Arbeitsunfähigkeit.

Die chronisch epitympanale MOE („Knocheneiterung”) ist mit einer chronischen Mastoiditis vergesellschaftet und durch fötide Otorrhoe bei randständiger Trommelfellper foration, Schallleitungsschwerhörigkeit (ggf. auch kombinierter Schwerhörigkeit) und meist fehlender Schmerzsymptomatik gekennzeichnet. Eine knochensanierende Operation mit Perforationsverschluss und Gehörknöchelchenkettenaufbau (Mastoidektomie mit Tympanoplastik) ist das therapeutische Mittel der Wahl.

Die chronisch mesotympanale MOE („Schleimhauteiterung”) kann bei ebenfalls fehlender Schmerzsymptomatik eine unterschiedlich ausgeprägte Schallleitungsschwerhörigkeit mit und ohne Otorrhoe aufweisen. Differentialdiagnostisch besteht zur epitympanalen MOE eine zentrale Trommelfellperforation; eine entzündliche Beteiligung des Mastoides ist nicht obligat. Eine operative Intervention im Sinne des Perforationsverschlusses mit ggf. Gehörknöchelchenkettenaufbau ist auch hier das therapeutische Mittel der Wahl.

Erst nach Abschluss des Heilungsprozesses, i.d.R. nach 3−6 Wochen post operationem, bei „trockenem”, nicht sezernierendem Lokalbefund ist das Tragen von Gehörschützern wieder möglich. Letztlich sollte die medizinische Entscheidung, ab wann Gehörschützer wieder verwendet werden dürfen, der behandelnde HNO−Facharzt treffen.

Bei unbehandelter, chronischer MOE ohne Otorrhoe ist grundsätzlich das Tragen aller Arten von Gehörschutz möglich. Jedoch sollte bei der Auswahl beachtet werden, dass ein Eindringen von Faserresten (Gehörschutzwatte) oder von Schmutzpartikeln (manuelle Kompression nicht vorgeformter Gehörschutzstöpsel) in das Tympanon zu einer Reizung der Mittelohrschleimhaut mit nachfolgender Exazerbation der bislang „ruhenden” MOE und begleitender Otorrhoe führen kann. Bei Kapselgehörschützern ist diese Gefahr insgesamt als geringer einzuschätzen. Generell sollte jedoch bedacht werden, dass jeder länger getragene Gehörschutz auch ohne Eindringen von Fremdpartikeln in das Tympanon durch Unterbrechung der „pathologischen Belüftung” via der Trommelfellperforation zu einer Exazerbation der chronischen MOE mit Wiederauftreten der Sekretion führt.

Bei dauernder oder intermittierender Otorrhoe ist das Tragen von Gehörschützern ohnehin nicht zu empfehlen.

Eine kausale, HNO−fachärztlich durchgeführte Therapie ist daher bei jeder Form der chronischen MOE immer dringend anzuraten.

11.3 Schallleitungsschwerhörigkeiten

Jede reine Schallleitungsschwerhörigkeit führt infolge der Übertragungsstörung des gesamten Schallfrequenzspektrums zu einem Verlust von „informationshaltigem Schall”, aber auch von „Lärmschall” und stellt damit auch einen Lärmschutz dar.

Besteht jedoch zusätzlich zur Schallleitungskomponente eine Innenohrschädigung (kombinierte Schwerhörigkeit), schränkt sich dieser zusätzliche, protektive Effekt wieder ein. Die Anwendung von Gehörschützern ist bei den verschiedenen Formen der Mittelohrentzündung bzw. Cholesteatomen nur bedingt möglich (siehe Abschnitt 11.2 ).

Nach hörverbessernden Mittelohr− bzw. Stapesoperationen mit konsekutiver Aufhebung des Stapediusreflexes ist trotz ggf. noch bestehender Schallleitungskomponente eine erhöhte Innenohrvulnerabilität gegenüber Lärm gegeben. Die Verwendung von suffizienten Gehörschützern ist in diesen Fällen dringend angeraten.

Wenn solche Patienten überhaupt weiter in Lärmbereichen beschäftigt werden, ist auf eine ausreichend effektive Schalldämmung (Gehörschützerauswahl entsprechend DGUV Regel 112−194 ) besonders zu achten.

11.4 Schallempfindungsschwerhörigkeit

Bei vorbestehender oder bereits lärminduzierter Innenohrschwerhörigkeit ist der weitere Einsatz unter anhaltender beruflicher Lärmexposition kritisch zu prüfen. Sofern möglich, sollte die Lärmexposition reduziert oder vermieden werden, jedoch ist eine obligate Arbeitsplatzumsetzung zur Vermeidung jeglicher Lärmeinwirkung nicht zwingend erforderlich. Die häufig diskutierte Auffassung einer „erhöhten Vulnerabilität” (Empfindlichkeit) vorgeschädigter Innenohren gegen Lärmeinwirkung konnte durch Swoboda und Welleschick (1991, Zur Entwicklung endogener Innenohrschwerhörigkeiten unter beruflicher Lärmexposition, Laryngorhinotol. 70:463−469) überzeugend widerlegt werden. D.h., eine Fortsetzung der Lärmarbeit ist unter Anwendung von geeignetem und persönlichem Gehörschutz und regelmäßiger arbeitsmedizinischer Vorsorge „Lärm” prinzipiell möglich. Abzuraten ist jedoch von der Fortsetzung der „Lärmarbeit”, wenn bereits eine einseitige Ertaubung oder eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit beiderseits vorliegt, um nicht die soziale Kommunikationsfähigkeit zu gefährden.

In jedem Fall ist bei vorbestehender Innenohrschwerhörigkeit bei Tätigkeit im Lärm auf das Tragen von Hörgeräten zu verzichten. Ausgenommen davon sind Hörgeräte die als Gehörschutz konstruiert und als solcher zugelassen (nach DIN EN 352 zertifiziert) sind (siehe Kapitel 7 ).

11.5 Tinnitus

Bei plötzlich auftretendem Tinnitus als idiopathischer Funktionsstörung des Innenohres (z. B. nach einem Hörsturz) ist von der Fortsetzung der „Lärmarbeit” auch mit Gehörschutz dringend abzuraten. Bei kompensiertem Tinnitus ist die Fortsetzung der Tätigkeit im Lärm möglich. Dabei kann der Tinnitus durch einen Geräuschgenerator (Noiser) therapeutisch gelindert werden, d.h. man kann durch Einspielen von Musik unter dem Gehörschutz die Wahrnehmung des Tinnitus reduzieren („Retraining−Therapie”), ohne einen schädigenden Schalldruckpegel am Ohr zu erzeugen. Dabei müssen mögliche Unfallgefahren durch die Maskierung ausgeschlossen werden. Da die Arbeitsgeräusche durch die Schalldämmung des Gehörschutzes abgesenkt werden, kann der Tinnitus lauter wahrgenommen werden, sofern kein Noiser unter dem Gehörschutz getragen wird. Eine Ablehnung des Gehörschutzes kann die Folge sein.




Quelle: Fachbereich Persönliche Schutzausrüstungen
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung,
DGUV Information 212−823 Ärztliche Beratung zu Gehörschutz, Juni 2014